Der Sinn steht uns nach Schönheit
Das Mysterium Schönheit beschäftigt mich schon lange, vermutlich seit ich als Jugendliche neue Wege fand über unsere Gesellschaft nachzudenken. Irgendwie wollte mir nie klar werden, warum, wenn wir so auf Schönheit bezogen sind, sie in ihrem Potenzial und ihrem wahren ‚Aussehen‘ verkannt wird? Es zählen ja nur die inneren Werte – von allem und jedem. Aber das ist schon der erste Widerspruch, denn Schönheit ist eben nicht nur etwas Visuelles. Wenngleich sichtbare Schönheit wichtiger ist, als wir vielleicht wahrhaben wollen. Alle schönen Erfahrungen wirken ähnlich auf uns und bewirken Ähnliches.
Wir sind in vielem so weit entwickelt, machen aber den Anschein immer noch sehr widersprüchlich mit dem Thema Schönheit umzugehen. Es ist kein Wunder, dass die Unzufriedenheit, mit uns selbst, mit unserem Gegenüber und unserem Leben im Allgemeinen ins Unermessliche zu wachsen droht.
Fakt ist: Wir Menschen brauchen die Schönheit. Sie hat das Potenzial pure Funktionalität zu sein. Wir sollten nur dringend unsere Definition davon überdenken.
Der Neurowissenschafter, Semir Zeki, der den Begriff der Neurästhetik formte, sagt, dass Schönheit lebensnotwendig ist. Er fand in langjährigen Versuchsreihen heraus: Das Empfinden von Schönem – egal in welcher Weise – erregt das Gehirn immer an der gleichen Stelle. Hinter der Augenhöhle, im Stirnlappen des Großhirns. Das heißt – egal ob visuell, akustisch oder durch ein Erlebnis empfundene Schönheit. Es kommt zwar über verschiedene Kanäle in unser Gehirn, löst aber in dem selben Teil des emotionalen Gehirns notwendige Reize für uns aus, die uns gut oder schlecht fühlen lassen. Es unterscheidet sich nur welche weiteren Regionen an dem Geschehen beteiligt sind.
Wem das zu unromantisch klingt, sei an dieser Stelle gesagt: Vieles kann an Romantik verlieren, wenn man es durch die Brille der Wissenschaft betrachtet.
Oder aber wir sehen es so:
Ein Teil unseres Gehirnes ist darauf spezialisiert, sich intensiv mit der Wahrnehmung von allem Schönen in unserem Leben zu beschäftigen. Uns mit Glücksgefühlen und Zufriedenheit zu überschütten. Den Alltag dadurch gefühlsintensiver, lebendiger, aufregender, einfach sinnvoller zu erschaffen. Im Kontext zu Gestaltung ist unsere Wahrnehmung die beste Designerin.
Wir sind schönheitsbezogene Wesen. Ich finde die Tatsache, dass es wissenschaftlich belegbar ist, macht es noch besser. Genau deshalb sollten wir darauf bestehen unser Bedürfnis nach Schönheit zu leben und alles dafür tun wahre Schönheit zu finden.
unsere beste Designerin
Was bedeutet wahre Schönheit?
Im Zen-Buddhismus gehört zur wahren Schönheit das Unvollkommene. Wenn ich in mich gehe, muss ich sagen: Ja die Unvollkommenheit des Lebens hat etwas. Auch wenn ich mich im Alltag oft genug ertappe nach Perfektion zu streben.
Eigentlich machen doch gerade diese kleinen Unvollständigkeiten – ein kleiner Bruch, eine sympathische Irritation – das Gesehene oder Erlebte noch schöner.
Perfektion ist langweilig. Es gibt gewisse Grundraster, an denen wir allgemein gültige Schönheitsmerkmale festmachen, die die meisten Menschen ansprechen. Das ist wichtig und auch okay so. Doch letztlich sind es die kleinen Unebenheiten im gesamten Bild, die besondere Schönheit ausstrahlen. Ob in Gesichtern, in der Natur, an Gegenständen oder auch auf der Ebene des Erlebten – alles was unsere Sinne erreicht.
Perfektion macht das Leben voraussagbar. Wirkt etwas oder jemand zu kontrolliert, empfinden wir es nicht mehr als lebendig und bereichernd.
Also können wir die Lehre des Zen als Aufruf zur schönen Unvollkommenheit verstehen.
Mit Achtsamkeit und der Form von Schönheit im Leben beschäftigt sich besonders der Kölner Psychologe Dr. Frank Berzbach. Er hat sich auf das Schreiben dieser etwas anderen, wunderbaren Design-Literatur fokussiert.
Seit ich mich für Desinn.today im Speziellen auf eine Artikelserie zur Schönheit beschäftige, treffe ich auf so viele Gedanken mehr aus den unterschiedlichsten Richtungen dazu. Ich möchte hier Wissenschaft, Geschichte, Kultur, Gesellschaft mit Design zusammenbringen, um dem Sinn nach Schönheit weiter nachzugehen.
Dazu zeige ich Geschichten zu all den Menschen, die sich damit auf ihre einzigartige Weise beschäftigen, runde sie für neue Denkanstöße mit meinen eigenen Gedanken ab.
Als eine der nächsten Stories dazu, werde ich über die Londoner Filmemacherin Anna Ginsburg und ihren im letzten Jahr entstandenen Animations-Film “What is Beauty” berichten. Er handelt auf einfühlsam-kritische Weise von unseren Schönheitsidealen. Als Benefit habe ich auch ein kleines, persönliches Interview mit ihr geplant. Ich kann es kaum erwarten darüber zu schreiben!